Gelting (Pliening)/Luftkampf 1944

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Gelting, Donnerstag 27. April 1944


Der Luftkampf über Gelting am 24. April 1944 und die drauffolgende Brandnacht in München[1]


Ein herrlicher warmer Frühlingstag, ich setzte mich eben unter den Sonnenschirm über das Brevier, Rosel die Haushälterin und ihre Zugeherin die Schozl – Anna von Finsing hatten Grosswäschetag und begannen eben die grossen Leinenstücke aufzuhängen, es war ca. 1 uhr – durch die vielen Luftwarnungen der letzten Tage war man hellhörig – da hörte und sah ich bald hoch oben aus Richtung Ismaning her kommend, wie ein Schwarm Vögel anzusehen, ein grosses Geschwader Feindbomber, immer grösser werdend, bald gefolgt von einem zweiten und dritten Geschwader, langsam feierlich schwammen sie daher und blitzten in der Sonne auf wie Silberfische. Sie machten einen grossen Bogen um uns, um dann sich wieder westwärts zu wenden, etwa über Richtung Feldkirchen in der Gegensonne verschwindend – innerhalb des grossen Bogens tauchten bald die Platzwölkchen der nun laut böllernden Flak auf, anscheinend weit ab vom Ziel im Leeren, waren etwa durch ihre Kleinheit unsichtbar Jäger über uns im Blauen ? Schon bildeten sich da und dort, hoch oben und weiter unten weisse Rauchfahnen, wie Silberfäden. Da – direkt über uns schwirren wie ferne kleine Vögel Jäger durcheinander und im Kreise rasen, immer mehr, bald grösser und näher werdend, entwickelt sich ein Höllentanz dort oben, wer jagt wen? Und schon ziehen einzelne weisse Fahnen aus ihren Flügel hinter sich, sinken schnell ab, fangen sich wieder, verfolgt und aufs neue absinkend, bis 1, 2, ein drittes und ein viertes kurz nacheinander in die Tiefe sausen – dort stossen zwei zusammen, ein weiss in der Sonne leuchtende Fallschirm schwebt im Winde über Poing, dann ein Aufstoss und über Anglprechting steigen zwei Rauchwolken empor – in Garkofen landet später ein Amerikaner. er hatte mit seinem Fallschirm mehr Glück, als der genannte Deutsche. Dort blitzt es im Blauen, ein abtrudelnder Jäger, noch einmal fängt er sich dann liegt zwischen Ottersberg und Paulihof die Maschine nahe dabei zwei arme Opfer, wieder Deutsche, das Bilder der Frau in der Brieftasche, der andere im Pass den 25.4 als 22. Geburtstag, den er nicht mehr erleben sollte.

Auch bei Kirchheim und bei Schwaben Abstürze, ein Deutscher kommt rauchend über die Zehmerwiese hinter uns, geht noch einmal hoch und verschwindet hinter der grossen Eiche. Ein Feindjäger wird am Dienstag von den Zehmerleuten beim Kartoffelsetzen tot gefunden, seine Maschine wird bis ins Moss getragen. Abgeschirrte Pferde kommen vom Felde herein, aufgeregt den Stall suchend – die Leute hinterdrein – Dann noch als Nachspiel: Die Neugirde hat über den Schrecken bald gesiegt, sie eilen und radeln dem Paulihof zu, wo der nächstliegende Aufschlag war. Bald haben auch alle Kinder Patronenhülsen in der Hand. - Und dann die Botschaft: In Erding hats eingeschlagen, dort raucht es fürchterlich, Flughafen und die anliegenden Häuser von Langengeisling sind getroffen. - Neun Abstürze wurden von hier beobachtet.

Dann kommt die Nacht – ca. 1 uhr böllert es in München, wackeln die Türen und klirren die Fenster – über dem Stadtzentrum wird es bedenklich hell, doch mehr Flaklärm wie Detonationen, ein Phosphorangriff. Eine zweite Welle und eine kleinere dritte – bald Entwarnung und wir suchen wieder schlafen. (NB! von meiner Luftschutzeinsatzgruppe für die Kirche war zuerst die Kathl vom Nachbar erschienen und hat uns mit kräftigem Läuten aus dem Bett geholt, dann war noch der hinkende Schuster erschienen, die anderen waren nicht zu sehen) – Am Dienstag sickern langsam die ersten Botschaften vom brennenden Ostbahnhof und Hauptbahnhof u.a. durch. Zwischendurch wieder Luftalarm. Die Schule schwärmt aus und kommt nach Entwarnung wieder zurück. Am Mittwoch ist meine Fahrt nach München geplant, ans Baubüro des Ordinariates, zu den Jesuiten, zu Foto Schwaja (?) mit den Erstkommunikantenfilm u.a. ich fahre los, vorsichtshalber mit dem Rad, der ¾ 10 Zug geht mit wenig Verspätung, schon hoffe ich, es wird etwa doch nicht so schlimm gewesen sein – der Zug fährt bis Ostbahnhof, das ganze Bahnhofgebäude ist eine noch rauchende Brandstätte bis unten, man geht durch die Unterführung ein und aus. Statt der Strassenbahnen stehen einzelne Omnibusse da, viel Menschengewühl. Ich fahre mit einem Rad durch die noch geringeren Brandstätten der Wörthstrasse, durch Möbel und Hausrat hindurch – die Johanniskriche steht friedlich, unberührt, zur Maximilianstrasse an der rauchenden Grossruine des Regierungsgebäudes vorbei, schon reibe ich die Augen, die innere Maximiliansstrasse voll von Bergungsgut, Bergungsautos, Löschzügen, ein Omnibus voll von Matrazen vor dem Hotel 4= Jahreszeiten, Foto schaja ausgebrannt – dann die erste Sperre durch die Innenstadt, so muss ich rechtsabbiegen und komme erschaudernd an den nunmehr völlig ausgebrannten Riesenkomplex der Residenz vorbei – über die Ludwigsstrasse querend steht feierlich wie glückstrahlend in der sich aufhellenden Sonne die unverletzte Theatinerkirche inmitten von Brandstätten – ich suche mich bis zum Lenbachplatz durch, sehe im Durchblick auf den Dom, zwar von Rauch umgeben, aber anscheinend noch ganz – aber schon sehe ich das grosse Gebäude Maxbg rauchend, dann einbiegend in die Pfandhausstr. zum Ordinariat, Trümmerhaufen sperren den Weg, ich sehe aber genug, dort wo früher das Dach war, Rauch... dann hinten herum, wo am Platz der ehem. Synagoge der Abfuhrschutt sich türmt da ragt aus den ganzen davor liegenden zusammengestürzten Komplex der Akademie der Wissenschaften die Michaelskirche, noch mit Dach, das Jesuitenkolleg von oben ausgebrannt – wo werden sie jetzt sein ? - in die noch brennenden Fensterhöhlen hält ein einsamer wie vergessener Löschmann seinen Strahl und verqualmt das ganze enge Gässchen – also zurück – ich weiss fast nicht mehr, wo ich nun noch hinwill, ich finde doch niemand mehr -also nur noch zum Schwager Fritz ins Doernerinstitut – im südlichen Bogen um die Altstadt, wo es überall raucht, komme ich über den Viktualienmarkt - statt der Buden nur noch Blechstücke u. Kohlenreste, Schmitz eine Ruine, vor allem aber sehe ich nun den geköpften Petersturm, die ausgebrannte Hl. Geistkirche, komme weiterfahrend an der Brandruine des Hofbräuhäuser vorbei, zwischen den beiden brandgeschatzten Lechelkirchen durch, endlich zur Ludwigsstrasse, am Siegestor ein Bombentrichter, die Akademie ohne Dach – zwischen Ruinen unversehrt das Doernerinstitut und der unversehrte Fritz.

Eines aber fiel mir im Gegensatz zu früheren Besuchen nach Angriffstagen auf: diesmal keine Zuschauer, kein Neugierigenstrom -sie waren alle selbst betroffen – und dann – inmitten all der traurigen Reste von Hausrat k e i n e Thräne! Und nirgends eine Hast, auch wo noch die Flammen aus den Trümmern züngelten – stummte Resignation ?

Inzwischen waren auf dem Ostbahnhof zwei Züge zusammengestossen – kein Wunder, wo so vielen Bahnangestellten alles verbrannt war – so fuhr ich per Rad nachhause – vor Aschheim kam mir wieder Brandgeruch entgegen -fünf Häuser durch Brand zerstört und überall Stabbrandreste auf der Strasser und in den Feldern – ich ging in die Kirche, der Hof daneben rauchte noch – da fährt in den Friedhof ein Militärauto, ich sehe, wie Soldaten in der Ecke ein Grab zu pickeln beginnen – was ist ? „dort“ deutet mürrisch und verächtlich ein Bauer auf einen Papierrupfen – drin lugten die verkohlten Reste, eines Feindfliegers hervor. Kein Wunder, dass sich die Gefühle des Bauern nicht dem zuwandten, der vor zwei Tagen noch Besitzer dieser Knochen und Fleischreste war und auch nach hause zu kommen hoffte zu Weib und Kindern oder zu den bangenden Eltern.

Wie lächerlich klein aber erschien mir jetzt meine grosse Sorge um mein abrutschendes Kirchendach, um dessentwillen ich hauptsächlich in die Stadt gefahren war – Feind Winter ist nicht so unmenschlich wie Feind Mensch.

Noch ein Nachspiel: Am Samstag spielt ein 13 j. Junge mit einer gefundenen Munition eines notgelandeten Flugzeuges – ein Krach, er läuft noch zum Hause „mein Bauch ist kaput“ und bricht zusammen. Hand zerrissen, 1 Auge verloren und fraglich ob er überhaupt noch gerettet werden kann. - Heute 1. Mai mittags kommen von Ottersberg 2 Mädchen, auf einem Heuwagerl mit Feldblumen eine kl. Kiste – drin sind die Reste eines (der) drei Soldaten die bei Ottbg. abgestürzt sind, die Leichte ist verbrannt und das nun schickt der Bauer, die Wehrmacht hats liegen lassen.

Sonst aber ist recht friedlich bei uns – wie im Paradies, in das nun so manche Münchner herausgekommen sind, wie man in der Kirche auch merkt.


Anmerkungen

  1. Vermutlich aufgeschrieben von dem Geltinger Kuraten Georg Straub 1944