Die Probstei in Wort und Bild/104

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Die Probstei in Wort und Bild
Inhalt
<<<Vorherige Seite
[103]
Nächste Seite>>>
[105]
Probstei in Wort und Bild.djvu
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien
Texterfassung: korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Bevor dieser Text als fertig markiert werden kann, ist jedoch noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.


vielleicht richtiger .denken. Ich gebe zu, daß es kein wahres Urteil giebt, wenn die Menschen alles nur nach Maßgabe des Orts, den sie bewohnen, und der dort gebräuchlichen Meinungen beurteilen; ich gebe es sogar zu, daß eine gewisse Kultur und Aufklärung hier einen bedeutenden Anteil an diesen Veränderungen hatte; allein ich bin auch auf das innigste überzeugt, daß mit der Anhänglichkeit an die Eigentümlichkeiten der Heimat, mit dieser liebevollen Rücksicht auf die Vorwelt, für die wahre Wohlfahrt eines Volks viel, unbeschreiblich viel verloren gehe; ich weiß es aus einer nur lehrreichen Erfahrung, daß das, was mancher ganz irrig als Aufklärung preist, durchaus nichts weiter sei, als äußere Verfeinerung. Und wenn ich hier Verlust und Gewinn mit strenger Unparteilichkeit gegeneinander abwäge, Schein und Wahrheit sondere: so begründet und verstärkt alles die wehmütigen Gefühle, die mich durchdringen, wenn ich beim Rückblick auf so manches Hingeschwundene auch mit Schiller klagen muß: Wie ganz anders, anders war es da! Zwar sind manche rohe und wilde Sitten verdrängt, allein die Sitten haben auch viel, nur zu viel von ihrer alten edlen Einfalt verloren, und mit der äußeren Verfeinerung nahm ein Hang zum sinnlichen Wohlleben überhand; auch waren die Sitten reiner. Ich erinnere es sehr lebhaft, mit welcher Furcht, mit welchem Abscheu noch in den ersten Jahren meiner Amtsführung eine Person betrachtet wurde, die aus Kiel, wohin sie als Amme geschickt war, mit einer venerischen Krankheit zurückkam. Allein jetzt! wie weit laxer, wie leichtsinnig beurteilt man diese, einst hier durchaus nicht bekannten, schrecklichen Uebel! Die Probsteier sind jetzt manchem alten Nationalvorurteil entwachsen, aber ihr natürliches Gefühl ist dafür verfälscht, ihr Geschmack verwöhnt, ihr Bedürfnis ins Unendliche verwöhnt, und im Gefolge des eingeschlichenen Luxus traten nur zu häufig Weichlichkeit und Ueppigkeit auf, die für den sittlichen Volkscharakter, für häusliches Glück so äußerst verderblich sind. Mit der Entfernung von der einfachen Natur ging auch das Offene, Trauliche, Herzliche größtenteils verloren, das sonst ein hervorstechender Charakter war. Jene rastlose Thätigkeit, bei der man keine Mühe scheute, und die sich durch Beharrlichkeit und Ausdauer auszeichnete, mußte häufig der Weichlichkeit und der Liebe zur Bequemlichkeit weichen. Wenn in früheren Zeiten der Probsteier Hausvater immer der erste bei der Arbeit, der vorderste in den Reihen seiner Arbeiter, der beständige Anführer seiner Hausgenossen war: so begnügen sich unsere jungen Hausväter häufig damit, bloß die Arbeit anzuordnen, und selbst die beständige Aufsicht wird manchem lästig. Der alte Probsteier verstand nicht bloß zu erwerben, es wußte auch zu sparen, und war bei seiner einfachen Lebensart wohlhabend; die jetzigen haben unendlich mehr Bedürfnisse, und der Luxus schuf Söhnen der wohlhabensten Väter bei einem vervielfältigten Ertrag der Felder drückende Nahrungssorgen. Mag das Material der alten Nationaltracht kostbar gewesen sein, sie war doch einfach, und die Tyrannei der immer wechselnden Mode herrschte doch nicht so allgemein, so gebieterisch. Man kannte doch jene thörichte Nachahmungssucht nicht, mit der jetzt so viele, blind und leidenschaftlich, wesentliche Vorzüge, Freiheit und Selbständigkeit aufopfern. Tadle keiner meiner Leser daß ich hier so entscheidend abspreche, es sind die innigsten Ueberzeugungen, welche ich ausspreche, und ich dringe sie keinem auf. Auch mag ich die wärmere Sprache nicht entschuldigen. Zwar soll der Referent nur ruhig Thatsachen mitteilen, allein ich kann unmöglich bei Gegenständen kalt bleiben, die auf das Wohl eines Volkes, daß mir so unbeschreiblich teuer ist, so entscheidende Einflüsse haben. Und ihr, meine guten Probsteier, wenn ihr auch hier Aeußerungen leset, die ihr sooft von mir, da, wo mein Beruf Euch zu lehren gebietet, wie in euren häuslichen Kreisen hörtet, beherzigt meine Bitte, da sie die Zeitumstände so nachdrücklich unterstützen: Beschränkt eure Bedürfnisse, kehrt in eurer Lebensweise wieder zur glücklichen Einfachheit eurer Väter zurück, und haltet euch überzeugt, daß Ueppigkeit und Weichlichkeit euer persönliches und häusliches Glück untergraben, und, wenn sie noch herrschender würden, euren Nachkommen kein erwünschtes, sondern ein trauriges Schicksal bereiten würden.