Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer/050

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Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer
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und noch weniger verstehen konnten. Weshalb wir uns sogleich wieder in die freie Luft retteten, und zur Festhalle eilten, wo ich die 2 Pfarrer von Wetzlar, Professor Hesse von Gießen, Kühn von Schotten, Marx von Echzell, Nebel, Wolf, Groh, Koch von Londorf, der mir sagte, daß er große Hoffnung habe, nächstens Pfarrer in Obbornhofen zu werden, und mit seinem Weibchen höchst glücklich lebe, Briegleb von Heuchelheim mit Tochter, Hofmann von Altenstadt mit Tochter, Bernbeck von Altenschlirf, Prälat Zimmermann, den jungen Drescher von Gießen, Dr. Beck von Darmstadt und andere Bekannten sah. Mit einigen Tausenden trieben wir uns in der hinlänglich geräumigen Halle umher, machten vorübergehende Bekanntschaften, hörten auf die Musik und die von ihrer Bühne begrüßenden Redner, namentlich den Vicepräsidenten Dr. Eich und Professor Schenkel von Heidelberg, der eine sehr kernige, äußerst begeisterte Rede über Luthers Verdienste und die Notwendigkeit, in seinem Geiste und Werke fortzufahren, hielt; worüber Manche, die aller ferneren Reformation abhold sind, zu murren, ihre Antipoden aber ein so lautes, anhaltendes Bravo begannen, und: „Touche! Touche!“ riefen, daß der Redner nach den Worten: „Ja, Luther hats gut, sehr gut gemacht! Und wenn er jetzt käme, so würde er es noch besser machen!“ unter dreimaligem Touche als gefeierter Sieger die Bühne verließ. Ein Amerikaner und ein Russe traten auch als Redner auf, konnten aber ihre Worte nicht mehr an den Mann bringen, da man, allgemein, des Zuhörens müde, sie sogleich mit schallenden Bravo's unterbrach und zum Schweigen nöthigte. Ebenso konnte Prälat Zimmermann nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen durchaus nicht zum Worte kommen. Gegen Mitternacht fuhren wir per Bahn in Gesellschaft Kühns, der mir seinen Schwiegersohn vorstellte, und Bernbecks gen Pfiffligheim, wo unser guter Wirth Beckerle, wohlhabender und nicht ungebildeter Landmann, schon in Morpheus Armen von des Tages Last und Hitze ausruhte, seine beiden Töchter uns aber freundlich empfingen, die jüngere auf meine Bitte noch einige Clavierstücke vortrug und uns dann unsere 2 aneinander stoßenden Schlafzimmer, mit schönen Sophas, Wandgemälden, und weichen Betten versehen, anwies. Am 25. um 6 Uhr tranken wir mit der Familie guten Kaffee, aßen mürben Kuchen dazu, und eilten zum Bahnhöfchen, um nach Worms zu fahren; der heranbrausende Zug war jedoch überfüllt und lieber, als wir seine Rückkehr abwarteten, gingen wir an dem festlich beflaggten Lutherbaum, eine majestätische Ulme, vorüber nach Worms, aus dessen Thor uns die katholische Bevölkerung entgegenströmte, um sich durch ihr Dableiben bei dem Ketzerfeste ums Leben nicht zu verunreinigen. Um 7½ Uhr hörten wir in der übervollen Dreifaltigkeitskirche den Hofprediger Hofmann von Berlin, der sein Möglichstes that vor den Augen und Ohren unseres Königs, des von Württemberg, des Großherzogs von Hessen, der sehr wohl, fast jugendlich aussahe, unseres Kronprinzen und vieler von Gold strotzenden Herrn, auch einer Dame, die als Inhaberin eines Regiments in der Fürstenloge mit Obristen-Epauletten auf beiden Achseln sich präsentirte; ob dieser weibliche Heros unsere Kronprinzessin oder die Erbgroßherzogin Alice von Darmstadt war, weiß ich nicht, wohl aber, daß mir an Herrn Epauletten weit besser gefallen. Um 9 Uhr sollte der Festzug nach dem Monumente beginnen, wurde aber durch das längere Frühstück der Allerhöchsten Herrschaften sehr verspätet. Da angeschlagene Placate die Inhaber der Karten zu bestimmten Sitzplätzen ermahnten, ihre Plätze lieber vor Eröffnung des Zuges einzunehmen, wenn sie derselben gewiß sein wollten, so folgten wir diesem Rathe, und nahmen am Zug der Geistlichen nicht Theil. Endlich setzte sich der Zug unter dem Geläute aller evangelischen Glocken in Bewegung und zog durch das prachtvolle gothische Portal in den weiten mit Schranken und 50 hohen Masten (an welchen die Wappen und Flaggen aller Nationen, die zu dem Denkmal gesteuert, prangten) umgebenen Festplatz, wo er von unserer Tribüne aus mit einem von vielen Gesangvereinen angestimmten und mit Blasinstrumenten accompagnirten Hallelujah empfangen wurde. Als sich die Fürsten in ihren Pavillon und die Geistlichen an ihre Plätze begeben hatten,