Johanna Margarete Kindermann

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<<<Papstdorf


Lebenserinnerungen von Johanna Margarete verw. Kindermann adopt. Gruner geb. Soratroy, geschrieben im Mai 1921.

Ergänzt von ihrem Sohn Karl Jordan und ihrem Enkel Wolfgang Worm

Taufschein von Johanna Soratroy

Gesagt hat man mir - und mein Taufschein belegt es -, dass ich geboren bin in Wien, in der Kirche zu den Heiligen Drei Schutzengeln getauft 1865. Meine Erinnerungen reichen zurück bis in ein altes strohgedecktes liebes Pfarrhaus in der Sächsischen Schweiz. Ein langer Großvater steht am Ofen, weiß ist sein Haupt, hemdärmlich, mit langer Pfeife. Noch ein Mädchen springt mit mir umher. Beide waren wir vaterlose Kinder, Unterschlupf findend beim einsamen Großvater Forbriger. Meine leibliche Mutter führte ihm die Wirtschaft. Der Vater von mir, also Pastorensohn namens Eugen (Forbriger), war, wie ich gehört habe, Geigenmacher von Beruf und zu dieser Zeit (in den USA) verschollen. Großvater hatte 7 Kinder gehabt, 5 Söhne und 2 Töchter. Die 5 Söhne haben jeder einen Baum gepflanzt bekommen im alten Pfarrgarten. Sie wachsen jetzt noch: 1 Linde, 1 Kastanie, 1 Eiche, 1 Lärche und 1 Weymouthskiefer. Ich betrachte oft mit Wehmut diese alten Stämme, in heimatlicher Erde fest eingewurzelt, besser als der gute Großvater verstanden hat, seine Söhne zu erziehen für diese und jene Welt.( Anm.:Fünf Söhne und eine Tochter wanderten nach USA aus. Erika Carstens)


Mein Großvater starb, es muss wohl 1869 gewesen sein. Mitten im Winter wurden wir des Landes verwiesen, da meine Mutter und ich Österreicherinnen waren. Da meine Mutter nicht zu ihrer Familie zurück nach Österreich durfte, da sie katholisch, der Vater evangelisch, das Kind unehelich, so blieb sie in Tetschen an der Elbe. Aus dem evangelischen Pfarrhaus in ein stockkatholisches Gasthaus, aber bei menschenfreundlichen Leuten. Ende des Sommers starb meine Mutter, arm, verlassen 2 Kinder, ein kleiner Stiefbruder war auch da, das war ihr Ende. Mein Großvater Forbriger mag wohl große Sorge um uns gehabt haben, denn auf seine letztwillige Verfügung waren bei der damaligen Kantorsfrau soviel Mittel deponiert worden, dass die 2 Waisenkinder wieder zurück nach Sachsen befördert werden konnten. Ich habe mich nie wohlgefühlt bei der kalten, hartherzigen Frau Kantor Börner, obgleich ich ihr meinen ferneren, glücklichen Lebensweg zu verdanken habe.


Ich war ungefähr 5 Jahre alt, als ich mich erinnere, unter dem alten steinernen Torbogen gestanden zu haben, der zur alten Pfarre führte. Ich hatte wohl auch beim alten Großvater ein gar zu schönes Leben geführt, dass ich mich nicht gerne wieder unter das alte vertraute Dach gesehnt hätte. Ich ahnte damals nicht, dass dreimal in meinem Leben die alte Pfarre mir sollte Zuflucht sein. Doch zurück!


Es war gerade Einzug vom neuen Herrn Pfarrer ( Gruner ). Große Leiterwagen standen mit allerhand Hausrat im Hof. Obenauf ein Vogelbauer, darin eine Miezekatze. Die Gemeinde hatte ihren Pastor geholt von der nahen Festung Königstein. Barfuß, im verschossenen Kleidchen, sah ich all den Herrlichkeiten zu, die da in das alte Haus verschwanden. Nicht lange dauerte es und eine freundliche, jüngere Dame trat auf mich zu und ich habe ihr gesagt: „Bei euch ist’s hübsch, bei euch möchte ich bleiben.“ Die beiden Pfarrersleute waren kinderlos, sie haben wohl bei ihrem ersten Kantorsbesuch erfahren, was für Waisenkinder wir waren. Die jetzige Pfarrfrau Elise (geb. Immisch) wollte eine Tochter, der Pfarrer lieber einen Sohn. Nach einigem Beraten hin und her, wobei man der Frau Pastor sagte, sie würde einen Sohn wohl kaum erziehen können, was sie sehr gekränkt hatte, war meine große Armut mein Glück. Ich hatte gar nichts, mein Halbbruder Robert wohl einige Taler Ziehgeld, so gab man mich lieber her. (Anm. von Enkel Wolfgang Worm: Es wird wohl auch die sicher mindestens heimlich bekannte Abstammung vom alten Pastor Forbriger eine Rolle gespielt haben!) (Anm.: Robert Soratroy, geb. 1870 in Bodenbach/Tetschen, wurde als Waisenkind von Kirchschullehrer Börner und seiner Frau im benachbarten Immenheim aufgenommen. Er wuchs Börner so ans Herz, dass dieser ihn in seinem Testament bedachte. Er wurde den leiblichen Kindern Börners zugezählt und sollte beim Ableben Börners zu gleichen Teilen bedacht werden. Laut Adressbuch lebte er noch 1940 in Leipzig. E. Carstens)


Ich wurde Pflege- später Adoptivtochter der Pfarrersleute Karl Gustav Gruner und seiner Ehefrau Elise Albertine geb. Immisch. Mein erstes großes Erlebnis dieser ersten Jahre bei meinen guten Eltern war, dass mich beide in eine große vorsintflutliche Familienkutsche luden, um erst in der nächsten Stadt Bad Schandau das Pfarrerstöchterlein gehörig auszustaffieren. Es ist mir sehr gut gegangen im Pfarrhaus, wenngleich mein Herz mehr dem Vater zugeneigt war, der ein ungemein gütiges Herz hatte. Die Mutter Elise war sehr streng, viel krank und hatte wenig Verständnis für kindliches Spiel und sah oft in meinen Untaten vererbte Sünde. Vater Gustav und Mutter Elise lebten eine sehr glückliche Ehe, die wohl nur durch die schweren Krankheitsfälle der Mutter getrübt werden konnte. Nie habe ich einen rührenderen Ehemann gesehen.


Mein Vater unterrichtete mich selbst, in der Ansicht alter Theologen, dass ein Pfarrer der beste Lehrer sei. Ich hatte mit noch einem Dorfmädchen Unterricht und man hat mir versichert, dass ich sehr dumm gewesen bin und in einer Dorfschule nie etwas richtiges gelernt hätte. Sicher ist, dass ich auf eindringliches Befragen meines Vaters unter Tränen sagte, dass Frau Illing die Welt geschaffen hätte. Frau Illing war die katholische Gastwirtsfrau in Tetschen gewesen.


Meine Mutter war oft krank und bettlägerig. So musste ich wohl auch mal kochen und mit dem Schlüsselkörbchen umher laufen. Einmal, ich war wohl 12 Jahre alt, ließ mein Vater Zimmerneu malen und hatte sogar die Maler in das Mittagessen genommen. Immer hatte ich durch meinen allzeit gütigen Vater (Adoptivvater Gruner) viel Sonne und Freude in meiner Jugendzeit.


Meiner Erinnerung nach muss Tante Helene (Anm.: Helene Immisch, die spätere Stiefmutter Johannas) ihr Damenpensionat in den Jahren 1871 oder 72 in Meißen gegründet haben. Als ich zu ihr in die „Lehre“ kam, war sie schon nach Dresden umgezogen. Meine Mutter Elise brauchte meine Hilfe umso mehr, als sie gezwungen war, etwas Landwirtschaft zu treiben. Die Pächter zahlten zu schlecht ihren Zins und trauten wohl dem neuen Pastor nicht all zu viel Energie zu zur selbständigen Landwirtschaft. Der vorhergehende Pastor, mein Großvater (Forbriger) war einer der tüchtigsten Landwirte seines Ortes gewesen und hatte sich kein Gewissen daraus gemacht, einen Vikar predigen zu lassen, derweilen er selbst Dünger zu fahren hatte. Dagegen kam Vater (Gruner) als gewesener Garnisonsprediger und mehr Gelehrter und Bücherfreund weniger zu Garten- und Feldarbeit. Also kam ich aus der feinen Pension (bei Helene Immisch in Dresden) wieder heim. Zwei Kühe, zwei Schweine und Hühner warteten meiner Fürsorge.


Mein Vater hatte gern Gäste, öfter erhielten wir Besuch von der nahen Festung Königstein, wo Vater vier Jahre Festungsprediger gewesen war, gerade von 1866 bis 1870. Die Dresdner Tante Helene und ihr Vater kamen oft auf Wochen zu Besuch ins Pfarrhaus. Englische junge Leute, besonders Herren und meist Studenten wurden Sommers über im Haushalt aufgenommen. Vater Gruner, der sehr gerne lehrte, unterrichtete die jungen Ausländer und der gebildete Umgang mag wohl meinen so gerne selbst weiterstudierenden Vater sehr angeregt haben. Aus dieser Zeit habe ich meine Kenntnisse der deutschen Klassiker, die abends mit verteilten Rollen gelesen wurden.


Unter diesen englischen Studenten fand sich auch einer, der meiner begehrte, und meinen Eltern wäre ein englischer Theologe wohl gar nicht unlieb gewesen, aber mein Herz wendete sich einem zugezogenen Landwirt zu, Schlesier von Geburt, Iwan Alexander Andreas Jordan. Nach kurzer Brautzeit wurde ich im Sommer 1885 seine Gattin. Wir hatten das Gut Koppelsdorf in Besitz. Ich ahungsloses und ganz junges Frauchen ging schweren Enttäuschungen entgegen. (Anmerkung von Enkel Wolfgang Worm: Großmutter Johanna berichtet in Einzelheiten über diese Ehe, aus der sie zwei Söhne hatte, zuletzt Karl, den späteren Professor Jordan, dessen Urne wie die der Großmutter und der Ehefrau Emmy Jordan im Grab Kindermann in Papstdorf mit beigesetzt worden sind. Ihr Ehemann Iwan Jordan verließ sie unter Hinterlassung von Schulden und war –soweit erzählt wurde- in Amerika verschollen. Vor dem Aufgebot für die zweite Ehe der Großmutter Johanna musste er für tot erklärt werden.) Anm.: Laut der New Yorker Passagierlisten reiste Iwan Jordan auf dem Schiff Bohemia am 16.9.1890 ab Hamburg nach New York. E.Carstens

Um 1888 vor dem Pfarrhaus: in der Tür Johanna mit ihren beiden Söhnen,daneben ihre Adoptiveltern, Pfarrer Gruner mit Ehefrau Elise

Ich dachte, alles sollte wieder gut werden. Aber einer allein in solch großer Landwirtschaft kann nicht schaffen, was Militär, Spiel und Kasino kosten. Im Frühjahr 1887 musste ich wieder zurück zu meinen Eltern. Es war zum dritten Mal ins alte Pfarrhaus, aber diesmal ging ich nicht gern. Es war bitter schwer für mich. Wohl nahmen meine Eltern mich auf, aber meine Mutter Elise hat mir wohl nie ganz die Schande vergeben, wie sie meinte, eine Familie ohne Mann auf diese Weise zurück zu bekommen. Am 23.3.1887 erblickte mein zweiter Sohn Karl das Licht der Welt. Die Eltern hatten sich in ihre Lage gefunden und haben mit viel Liebe meine Kinder umgeben.


Die schwererkrankte Mutter Elise starb im Juni 1888. Somit war nach Gottes Willen für mich wieder mehr rechtlicher Platz geschaffen. Ich durfte meinem lieben Vater Gruner die fehlende Hausfrau ersetzen und die Kinder wuchsen mit jedem Tag mehr dem Großvater ans Herz. Sechs Jahre blieb ich im schönen Elternhaus, dann durfte ich noch einmal an Treue und Liebe glauben. Hans Kindermann, der Lehrer des Ortes, bot mir ein liebreiches Herz und meinen Kindern ein Vaterhaus. Mein Vater Gruner war mir nicht entgegen, obwohl er oft sagte, es wäre ein besonderer Umstand, dass er noch einen Schulmeister zum Schwiegersohn bekäme. Er liebte die Lehrer nicht und hielt sie alle für gottlos. Aber meinen Hans musste er lieb gewinnen.


Ich habe acht sehr glückliche Jahre in der Schule erlebt. Leider sollte auch diese Ehe nur kurz sein. Im Januar 1901 zeigten sich die ersten Anzeichen einer Nierenerkrankung. Eine achtklassige Volksschule mit meist über 100 Kindern, dazu viel Kirchendienst und ein gegen Winterkälte schlecht verwahrtes Haus hatten wohl den Grund dazu gelegt. Im Juni desselben Jahres wurde ich wieder Witwe. Fünf Jahre vorher war mein Vater Gruner heimgegangen, nachdem er ein Jahr vorher als zweite Gattin seine Schwägerin Helene Immisch geheiratet hatte.


So stand ich wieder alleine. Ein fünfjähriges Töchterchen war aus dieser Ehe mir geblieben, Helene, später verehelichte Worm, und meine Söhne erster Ehe, damals 15 und 13 Jahre alt. Noch lebte die zweite Frau meines Vaters. Sie war in das elterliche Erbe eingetreten. Ihrer geschäftlichen Klugheit und Schläue ist es zu verdanken, dass das Erbe des Großvaters Gruner, das in einem Grundstück in Dresden-Friedrichstadt bestand, gehoben wurde. Sie selbst besaß ihr Damenpensionat und das Landhaus Immenheim, mein alter ehemaliger Zufluchtsort, das Börnersche Familienhaus. Das hatte Großmutter Helene gekauft mit Großvaters Gruner Hilfe.


Von Herbst 1901 bis Ostern 1903 waren wir in Meißen der Schulen wegen, von 1903 bis 1909 in Dresden. Dann starb meine Stief/Adoptiv-Mutter Helene, also meine dritte Mutter, und ich trat in das Erbe ein. Ein schwieriges Testament von Helene hat mich davor bewahrt, verschwenderisch zu werden, aber eines habe ich immer dankbar anerkannt: dass ich das alte Börnersche Haus (das Immenheim) in meinem Besitz wusste. Heute, den 21. Mai 1921, so habe ich erlebt, Gott schenke auch mir einst den ewigen Frieden. Johanna Margarete verw. Kindermann adopt. Gruner geb. Soratroy


Fortgeführt von Karl Jordan 1959: Der 1. Weltkrieg brachte es mit sich, dass Mutter Johanna in ihrem geliebten Immenheim immer einsamer wurde und die Arbeit auf diesem großen Besitz zu schwer auf ihr lastete. Meine Schwester Helene (Worm) hatte 1917 geheiratet. Es war das letzte große Familienfest, das im Papstdorfer Haus stattfand. Dank alter Beziehungen wurde sogar eine im Verhältnis zu den Kriegszeiten reichhaltige Hochzeit gefeiert. Als die Hochzeit vorbei war, saß Mutter in dem großen Haus allein. Zwar wurden so und so viele Räume geschlossen, die Arbeit im Garten allein nahm schon ihre ganze Kraft in Anspruch. Der Krieg aber erforderte auch Ziegenhaltung, da die Ernährung immer schwieriger wurde. Hinzu kam noch die wenig schöne Einstellung der Papstdorfer Bevölkerung. Sie missgönnten Mutter ihren großen Besitz, waren der „reichen“ Frau gegenüber oft direkt gehässig. So tauchte immer mehr der Plan auf, das Immenheim zu verkaufen. Für die Felder gab es genügend Anwärter, das große Haus aber konnte nur jemand nehmen, der entsprechend viel Geld verwohnen konnte oder eine Fremdenpension daraus machte. Dieser zweite Weg führte zum Ziel. Eine Frau Scheider kaufte Ostern 1919 das Grundstück und vermietete an Feriengäste. Auch heutzutage ist Immenheim eine bekannt gewordene Fremdenpension.

Grab von Kantor Kindermann

Der Verkauf fand zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt. Nach dem verlorenen Krieg entwertete das Geld zunächst allmählich, dann immer rascher und rascher, so dass auch bei der späteren Aufwertung Mutter eine lächerlich kleine Summe aus ihrem ehemaligen Besitz übrig behielt. Wir Kinder haben zwar unserem Jugendhaus nachgetrauert, nie aber dem verlorenen Geld. Mutter zog nach Dresden. Sie starb nach dem Verlust ihrer Wohnung beim Angriff 1945 in Gera, ihre Asche wurde in Papstdorf in dem Kindermanngrab beigesetzt. Ihr Wunsch war immer gewesen, auf dem Friedhof in Papstdorf zu ruhen. Am 10. April 1946 fand die schlichte Totenfeier statt. Ein bewegtes Leben kam hier zur letzten Ruhe.


Folgende Anmerkungen stammen vom Enkel Wolfgang Worm: Von der angeblichen Missgunst der Papstdorfer meiner Großmutter Johanna gegenüber habe ich, als wir mit ihr zur Sommerfrische dort weilten, nichts mehr gespürt. Im Gegenteil, sie hatte dort und in der Schinkenmühle durchaus Freunde.


Merkwürdigerweise hat meine Großmutter Johanna in diesen Lebenserinnerungen nichts von dem Brand der Pfarre berichtet. Sie hat aber immer wieder davon erzählt und wie unglücklich ihr Adoptivvater Gruner gewesen sei, als seine Bücher und viele Unterlagen in den Flammen verzehrt wurden. Aber meine Mutter Helene hat davon berichtet, was sie aus Erzählungen noch wusste. Sie schrieb: „ Ich muss noch nachholen, dass das strohgedeckte Pfarrhaus im Frühjahr 1895 in einer Sturmnacht abbrannte. Man rettete vieles aus dem Erdgeschoss, darunter einen Schrank voll altes gutes Meißner Porzellan. Man hob ihn im Ganzen heraus und nicht ein Stück war kaputt gegangen. Dafür ist das Meiste davon dann beim Angriff auf Dresden im 2. Weltkrieg verloren gegangen. Meine Mutter durfte auf den energischen Verweis meines Vaters (Hans Clemens Kindermann) nicht helfen, da sie mich unter ihrem Herzen trug. Ein Jahr vor meiner Geburt hatte sie sich eine Fehlgeburt zugezogen, indem sie eine große Gartenleiter gehoben hatte.


Der Brand brachte aber dem Großvater Gruner den großen Kummer, dass seine sämtlichen Bücher –man sagte mir 5.000 Bände, darunter alte schweinslederne Bibeln- verbrannt waren. Großvater zog nun ins Immenheim, das seiner Schwägerin Helene (Immisch) gehörte, die in Dresden das Mädchenpensionat besaß. Großvater heiratete auch diese Helene noch, starb aber bald danach, schwer magenkrank, am Tage seines 50jährigen Dienstjubiläums, mit dem Sektglas in der Hand.


Großmutter Helene kam mit ihren Schülerinnen und Lehrerinnen usw. nur drei Sommermonate nach Papstdorf, Mutter Johanna musste immer im Immenheim nach dem Rechten sehen. Das schönste waren für mich aber die Ferien in Papstdorf. Konnten wir noch nicht ins Immenheim, weil dort das Mädchenpensionat von Mai bis August weilte, durfte ich allein auf das größte Bauerngut Krebs, wo ich es recht gut hatte.


Bei Gewitter war ich als Kind furchtsam. Das kam wohl daher, dass auf dem Dorf vielfach ein vom Blitz gezündetes Haus niederbrannte, ehe die freiwillige Feuerwehr erschien. Auch mein guter Vater machte bei Gewitter einen besorgten Eindruck. Wir mussten alle um den ovalen Tisch sitzen und ein Vaterunser beten. Auch durften Schere und Messer nicht in die Hand genommen werden. Als ich älter war, fand ich die Nachtgewitter im Immenheim zwar auch etwas gruselig, aber andererseits wunderschön, wenn die Schrammsteine über dem Elbtal oder die Koppelberge von den weithin sichtbaren Blitzen aufleuchteten.


Großmutter Helene Gruner (geb. Immisch) hatte weiße Stirnlöckchen und kleidete sich nur in schwarze Seide. Im Alter von 63 Jahren wurde sie als dritte der Schwestern Immisch lungenkrank, alle drei waren lungenkrank, Arzttöchter aus Meißen. Die erste hatte der Pfarrer Gruner nur geliebt, dann starb sie. Die zweite (Elise) starb bald nach der Heirat, die dritte (Helene) wurde immerhin 63 Jahre alt, für die damalige Zeit ein hohes Alter.


Zu unseren verpachteten Feldern gehörte ein kleiner Felsen, der Schlickerschlacker, der nicht ganz leicht zu besteigen war.“ Von ihrer Hochzeit 1917 schreibt Helene geb. Kindermann verh. Worm: „Unser Pfarrer Ernst Besser, der mich schon konfirmiert hatte, sprach sehr lieb und persönlich. Unter unseren Gästen war ein Onkel meines Verlobten, der auf dem Hauptbahnhof Dresden Oberbahnhofsvorsteher war. Er hatte manche fürstliche Empfänge dort zu leiten und dafür manchen Orden erhalten. Da er groß war, hatte viel solcher Glanz auf seiner Brust Platz. Er trug eine schöne Eisenbahneruniform mit goldenen Litzen und Schnüren. Im Dorf hat man dann gesagt, es müsse ein ganz großer General gewesen sein.“


Mit dieser von meiner Mutter eingefügten Anekdote –man stelle sich die Ordensbrust auf der Wiese vor dem Immenheim im Sonnenschein vor- schließe ich die Auszüge aus den Berichten ab. Es ist sicherlich etwas mehr darin zu lesen, als für die Geschichte der Kirche, der Pfarre und des Immenheims von bleibender Bedeutung ist, aber ich meinte doch lieber die mir zugänglichen Quellen, die Erinnerungen meiner Vorfahren und Verwandten, im Wortlaut wiedergeben zu sollen, enthalten sie doch neben manchem Persönlichen auch viele gute Einblicke zur Zeitgeschichte von 1865 bis 1918. Wolfgang Worm, September 1997