Gästebitter

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Köchin und Gästebitter vor der Deelentür mit Nachbarschaftshelfern 1957 im Vest Recklinghausen

Gästebitter

  • Berufsbezeichnung
  • Bedeutung: Bittet Gäste zur Teilnahme an Hochzeitsfeierlichkeiten

Erläuterung

Ein Gästebitter hatte in Westfalen die Aufgabe, die gewünschten Gäste zur Hochzeit einzuladen. Dies war in erster Linie die traditionell festgefügte Nachbarschaft und ebenso die im Kirchspiel wohnende Verwandtschaft mit dem zugehörigen Gesinde.

Dabei gab er, für jedermann erkenntlich, eine ganz wichtige öffentliche Person ab. Gekleidet war er demgemäß feierlich mit blauem Sackkittel, weißem (Unter-) Hemd und rotem Halstuch, der üblichen Hose und Holzschuhen. Dazu trug er einen blumenverzierten Hut und mit bunten (roten) Bändern verzierten Stab (Schultenstab) und schritt stolz wie ein Pfau, manchmal mit einem Regenschirm auf dem Rücken, durch das Dorf. Um 1900 und danach fuhren bereits einige wenige Gästebitter mit dem Fahrrad, trugen wegen ihers „hohen Standes“ als eigene Karrikatur einen Bratenrock mit "Vatermörder" und Schlips, wie auch schon einen Zylinder.

Jedenfalls konnte sich diese Tätigkeit wegen der Vielzahl der persönlich zu bewerkstelligenden Einladungen und dem jeweiligen Bewirtungsumfang (prostevieren) gegenüber dem Gästebitter über mehrere Tage erstrecken (20 bis 40 Familieneinladungen).

Wenn der Gästebitter in ein Haus trat, meist über die Deele zur Küche hin, stellte er sich – zunächst den buntgeschmückten Stock kräftig auf den Boden stoßend, dann mit beiden Händen vor sich haltend oder sich darauf stützend – breitbeinig in die Küchen- oder Wohnstube und sprach dann salbungsvoll sein Sprüchlein auf, so etwa in verschiedenen lokalen Versionen und mit zusätzlichen Erweiterungen in der Soester Börde:

Soester Börde

“Guodden Dag in`t Hus, Här un Frau,
Süönne un Döchter, Gesinde därtau!
Ik sall jiu fröndlik seggen:
(N.N.) Hochtuid) is in (N.N.) Wiäken –
Ossen un Schwiune sind all schlacht`
Un oek all`s opt fuinste herut gebracht.
Aower Messer un Gaofel nit vergiäten,
Süs könnt jiu et Floisk me de Fingers iäten!
Det Owends giät n` kollen Drunk
Un dobui oek n` lust`gen Sprunk.
De Musukanten spiält met Hörns un Floiten,
Dann jeddereen danzen met suiner Groiten.
Niu makt jiu fuin, aower nit to fuin,
De Briut well garn de suinste suin!”

Der Dank für die Einladung war dann meist ein "Schnäpsken" für den Gästebitter, und wenn der dann auf einem Bein nicht stehen konnte, bekam er auch ein zweites Glas Schnaps. Daher verteilte der Gästebitter seine Einladungen über mehrere Tage, dann hatte er länger etwas davon. In vorgerückter Stunde wurde dann manchmal sein Vortrag etwas gekürzt und undeutlicher, aber jeder wußte ja, worum es ging.

Westmünsterland - Vest Recklinghausen

Um 1930 Hochzeits- oder Gästebitter im Münsterland, mit "Esprit" in linker Hand.
  • Im nördlichen Vest Recklinghausen (längs des Lippetals) und Westmünsterland bab es kürzere odere längere persönlich gefärbte Versionen der einzelnen Hochzeits- oder Gästebitter:

Goden Dag in't Quartier!
De Gästebidder is wiär hier.
Hadden it et all vernommen, Dat de oek all` wull kommen ? Hier sett ick mienen Staff
un nemm mien Käppken aff.
Ick söll ink seggen, dat ....
Un wet nich watt.
Ick soll ink seggen daor
Un wet nich waor.
Ick hadde´t mej noch up'n Stock eschriäwen,
Daor häw ick't met de Mau afriäwen.
Dag un Daotum is mej vörgäten,
De Müse häbt mej den Kalender upefriäten.
No wick mej es besinnen,
Ick möcht noch finnen.
(N.N.) äs Brüdigam, (N.N.) äs Bruut,
De schickt mej äs Gästebidder ut.
Ick soll niächste Wäeke, Dinsdag un Gunsdag,
To rechter Tied,
Ou inloden to öhre Hochtied,
Allemaole, klein un grot,
Jung un old, so as it gaoht,
Sölws dat kleenste Kind,
Wat sick in de Weege find',
Makt Ou daorto recht fien,
Maor ok net all te fien,
Brut un Brüdigam willt gern de fiensten sien.
Komm Ej up de Brutlacht an,
Giff et gllcks ne Klaoren dann,
Dann gifft Koffie met n` Klünteken,
Dat giff oek n` söit Schnüteken.
Dorbej ne Botteram met Schinken,
Do könn Ej god up drinken.
En Piepken met Tabak
schmökt jeder nao sienen Geschmack.
Dann gäwt wej uns up de Föte
Un gaoht de Brutlöh in de Möte.
Fähnken un Musik vörut,
So gaoht Brüdigam un Brut
Un denn den ganzen Tropp
Up de Dìäl herop.
De Aollers van den Brüdigam füöhrt
De Brut an öhren niejen Herd.
Dann wünßet wej den Brutlöh Sägen
Un en lang Liäwen.
Met de Tied sodann
Funk dat Middagiäten an:
Suppe, Fleeßk, Gemös un Schinken,
Un dorbej giff`t et wat te drinken;
N`Stück van n` gebraoden Kalf,
Is`t ken heel, so isst doch half;
Prumen un Rosinen
Do sall net de Mund nao schrlenen,
Puddlnk un Leckerej,
Alles gifft dorbej;
As Proppen n` Stück Stuten,
Daor will wej de Maoltied met besluten.
De Jungen Gäste vör allen Dingen
Wüllt ganz gerne danßen un springen.
Tien Musikanten un tien Tunnen Bier,
Dat giff up te Brutlacht n` wahn Pläsier.
Well dat danßen nich met will dohn,
kann ganz giärn hen karten gaohn.
De aollen Wiewer, dat mock noch seggen,
De will ick ok gern n` Söiten brengen.
Un Naomedags to Vespertied
Gifft Koffie met Botteram, nao Aptit,
Un aowens Erdäppel met Braoden,
Dat`t sick jedereen kann smaken laoten.
Van moanns büs tao`t nao Hus hengaohn
Will ick sieker mien Beste dohn.
Ok den twedden Dag, dor stao`k vör in,
Sallt wäsen, dat`t net biäter wäsen künn.
Häwt it mij no recht verstaohn ?
Dat it te rechten Tied könnt gaohn ?
Süß möcht nich mer so t`rechte staohn.
N` Lind an 'n Hot
Dat geht nich got;
Maor `n got Drinkgeld in de Hand,
Daor is den Gästebidder met kontant.

Zeremonienmeister

Als Zeremonienmeister fungierte schließlich der Gästebitter bei der Hochzeitsfeier selber in Westfalen. Wenn die Gäste nach der kirchlichen Hochzeit mit der Kutsche oder dem Leiterwagen vorfuhren empfing sie der Gästebitter mit einem "Dat it willkommen sind!" und reichte den Männern ein "Schnäpsken" und den Frauen einen "Pupannis". Die Gäste antwortetem dem Gästebitter dann:"Willkommen of nich, wij sinnt all dao!".

War es dann Mittagzeit, lud der Gästebitter zu Tisch und wies mit launigen Versen und Sprüchen auch die Sitzplätze an. Er wachte darüber, daß es an nichts fehlte und die in der Küche helfenden unverheirateten Nachbarstöchter ausreichend nachlieferten. Für seine fürsorgende Freundlichkeit und die der Köchin durfte er dann vor dem Nachtisch mit "dem Hoet gaohn" (den Hut rundgehen lassen und Geld sammeln.). Vorher erzählte er dann, daß die Köchin sich bei der Essenszubereitung "Schoeh un Huosen" (Schuh und Strümpfe) am Feuer verbrannt hätte und Ersatz brauche. Den Erlös der Sammlung teilten sich Köchin und Gästebitter.