Amtsmedikus

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Informationen über regionale Lebensumstände geben ein Abbild über Lebensweisen der hier bodenständigen Menschen in ihren Zeitverhältnissen, um damit eine Basis zur Darstellung persönliche Geschichte von Vorfahren in Zeit und Raum für Biografien zu bilden. Entwicklung im lokalen und regionalen Zusammenhang, Land und Leute, Siedlung....

Historische Hierarchie

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Bedeutung Amtsphysicus / Amtsmedikus

Fürstbistum Münster

Als Amtsmedikus oder Amtsphysicus im engen Sinne bezeichnete man im Fürstbistum Münster einen Arzt, z.B. einen "Leib- und Landt-Medicis", auch "Land-Operateur", welcher auf einer amtlichen Stelle der Gesundheitsverwaltung, wie beispielsweise später im fürstbischöflichen Medizinalkollegium oder in einem historischen Amtsbezirk (als untere staatliche Verwaltungsbehörde) in der staatliche Gesundheitslenkung tätig war.[1]

Erste flächendeckende gesetzliche Grundlage

Die Entstehung eines öffentlichen Gesundheitsdienstes läßt sich auf die organisierte Bekämpfung von Seuchen, vor allem der Pest zurückführen. Bereits Anfang des 15. Jhdts. wurde in den Reichsstädten die Institution des Physicus (Amtsarzt) geschaffen. Waren die Physici ursprünglich Angestellte von Städten, Kreisständen und Ritterschaften, wurden sie später immer mehr in den staatlichen Dienst übernommen und unter dessen Medizinalaufsicht gestellt, so auch im Fürstbistum Münster.

Am 20.07.1692 wurde erstmalig für das Hochstift Münster eine Arznei- und Medizinalordnung als Handhabung für die Medizinalpolizei nach Reichsmuster (HRR) erlassen. Diese galt nunmehr für alle Ärzte, Apotheker, Wundärzte, Bader und dazu zählende Personen (auch Hebammen).

§ 1 Nur den auf Universitäten und Akademien promovirt habenden und landesherrlich bestätigten Aerzten ist die Ausübung der inneren Heilkunde erlaubt, ausschließlich jedoch der den Wundärzten, bei gefährlichen Wunden aber nur mit Rath eines Arztes, gestatteten Verordnung von Wundgetränken.

§ 2 Die Lebensgefahr eines Patienten muß, zur Beförderung seines Seelenheils, von dem Arzt den nächsten Anverwandten oder dem Seelsorger des Erstern entdeckt und hiernach das Heilverfahren gewissenhaft bewirkt werden.

§ 3 Die Wahl des Apothekers soll dem Kranken und seinen Angehörigen überlassen und durch Empfehlungen des Arztes nicht bestimmt werden.

§ 4 Die Aerzte sollen ihre Belohnungsforderung nicht übertreiben, auch den Armen unentgeltlichjen Beistand leisten, und ihren Beruf treu und fleißig erfüllen.

§ 5 Die Apotheker müssen alle zu einer wohlbestellten Apotheke gehörigen Materialien und Medikamente stets frisch und unverdorben vorräthig haben, wogegen es allen Krämern, Gewürzhändlern und Zuckerbäckern, bei Confiskationsstrafe verboten ist, nach halbjähriger Frist, diejenigen Materialien und Waaren, deren ausschließlicher Verkauf herkömmlich den Apothekern überwiesen ist, ferner zu kaufen, zu besitzen oder zu verkaufen.

§ 6 Allen fremden, unbekannten und umherziehenden Theriak- (Antidot) und Salben-Krämern, Zahnbrechern, Empyrikern (antike Ärzteschule), vermeintliche Alchymisten und dergleichen, darf ein heimlicher oder öffentlicher Aufenthalt und Verkauf von Arzneyen etc., ohne landesherrliche Erlaubnis nicht gestattet, und sollen die ohne Letztere Betroffenen mit Confiskation ihrer Waare und mit Landesverweisung bestraft werden.

§ 7 Die landesherrlichen "Leib- und Landt-Medicis" sollen:

  • a) die genaueste Aufsicht auf gute und angemessene Beschaffenheit der Arzneikörper, Gefäße, und Geschirre, der Arrznei-Bereitung und Verkaufspreise und der zeitgemäßen Marialien-Erneuerung in den Apotheken führen; und die desfalls fehlenden oder betrüglich handelnden Apotheker zur Bestrafung, auch etwa gänzlichen Abschaffung; anzeigen, auch desfalls
  • b) sämmtliche Apotheken jährlich wenigstens einmal genau und fleißig visitiren.

§ 8 Die Bereitung von wichtigen und zusammengesetzten Arzneimitteln, deren Dispensirung den Apothekern erlaubt ist, muß unter spezieller Aufsicht eines landesherrlich aprobirten Atztes bewirkt, und von diesem, die Güte und das Gewicht des Medikamentes, sowie dessen Bereitungszeitpunkt, im Apothekerbuche und am Gefäße verzeichnet werden.

§ 9 Die Apotheker sind nicht verbunden, die Zusammensetzung eines ihnen von einem Arzte zur Bereitung anvertrauten und heimlich zu haltenden Heilmittels oder ein ärztliches Privat-Rezept einem anderen mitzutheilen.

§ 10 Die Apotheker und deren Gehülfen müssen sich jeder Ausübung der Heilhunde und jeder Verordnung von Arzneien enthalten und sich darauf beschränken, die von den Aerzten verordneten Heilmittel genau und reinlich zu bereiten, weshalb jederzeit der Prinzipal oder ein tüchtiger Gehülfe in der Apotheke anwesend sein soll.

§ 11 Die Annahme von Gesellen und Lehrlingen der Apotheker, muß nach den oben erwähnten Arznei-Ordnungen und dem Landesgebrauch, resp. mit Rücksicht auf deren Sittlichkeit und Kenntniß der lateinischen Sprache geschehen, bei definitiver Aufnahme eines Gesellen oder Lehrlings muß derselbe vorher einem landesherrlichen Leib- oder Land-Medikus vorgestellt werden.

§ 12 Behufs der gleichförmigkeit der Bereitung, sowie der Verordnung und werthschätzunh der Heilmittel, müssen die zusammengesetzten Arzneikörper nach einem approbirten allgemeinen Dipensatorium zubereitet werden.

§ 13 Eine von allen Apothekern gleichmäßig zu beachtende und beim Verkauf nicht zu überschreitende Preistaxe der Arzneien, wird - mit Vorbehalt ihrer künftigen landesherrlichen Abänderung, nach Maßgabe der sich ändernden Warenpreise - festgesetzt und publiziert.

Quelle: Johann Joseph Scotti: Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Königlich Preußischen Erbfürstenthume Münster und in den standesherrlichen Gebieten Horstmar, Rheina-Wolbeck, Dülmen und Ahaus-Bocholt-Werth (1843), Einsichtig z.B. in der Stadtbücherei Haltern am See, Stadtarchiv Dülmen oder im "Landeskundlichen Institut Westmünsterland" in Vreden.

Kommentar:

  • Apotheken und Ärzte konzentrierten sich auf Residenzen und größere Städte, wo sich von begüterten Bürgern ein optimales Einkommen erzielen ließ. In Folge der zahlreichen kriegerischen Verwicklungen des Fürstbistums Münster seit dem 16. Jahrhundert, mit vielfach verheerenden Auswirkungen, aber auch durch Missernten, verfestigten sich auf dem Lande die Armut und damit einhergehend der Mangel an Ärzten und der Arzneimittelversorgung.
  • Nicht approbierte Wundärzte besaßen eine handwerkliche Ausbildung und waren in Zünften organisiert. Sie durften nur äußere Krankheiten behandeln und konnten dazu Arzneien verschreiben oder stellten diese auf dem Lande, bei fehlenden Apotheken, selber her. Zu Berufsgruppe der niedergelassenen Wundärzten gehörten auch Chirurgen, Oculisten, Ohrenärzte, Steinschneider (Nieren- und Blasensteine), Zahnärzte, aber auch Bader und Babiere. Die Zahl der Wundärzte auf dem Land war wesentlich höher als die Anzahl der approbierten Ärzte.
  • Heilkundige arbeiteten zu der Zeit mit "Apothekerwaren" oder "Arzneien", allerdings sind diese Begrifflichkeiten da noch völlig unbestimmt. Es gab noch keine Systematik oder systematische Nomenklatur bei den Kräutern und sonstigen Waren. Von daher gab es im Bereich des Arzneimittelhandels, lokal durchaus unterschiedlich, konkurrierende Interessenten, nämlich Ärzte und Wundärzte, Materialisten, Hebammen, und bezogen auf Minderstädte oder Kleinstädte wie Haltern, Gewürz- und Materialienkrämer.
  • Fahrende Arzneimittelhändler unterlagen keinerlei Qualitätskontrolle unter arbeiteten absolut auf Gewinnmaximierung. Von daher verbargen sich darunter auch zahlreiche Scharlatane, Quacksalber. Sie konnten ihren Verdienst mit außer Landes nehmen und waren besonders daher der Obrigkeit "ein Dorn im Auge".
  • Materialisten waren Kaufleute, welche im engeren Sinne mit Spezereien, Materialien und Gewürzen handeln, die zur Arzenei, in der Küche, zur Speise, zum Färben, u. d. gl. dienlich waren. Sie sind von den Krämern oder Hökern zu unterscheiden, die mit diesen Waren nur im Einzelnen handeln und zusätzlich beispielsweise auch noch Zucker und Branntwein zum Kauf anbieten.
  • Gewürz- und Materialienkrämer verkauften allerdings auch weiterhin die ihnen von Großhändlern bezogenen Arzneieprodukte oder selber hergestellte Arzneien auf dem platten Lande ohne jegliche Qualitäts- oder Hygienekontrolle, Hier benötigte man dazu auch kein Rezept und hatte damit die Kosten für einen Arztbesuch gespart.
  • Bei gleichen Maß- und Gewichtsangaben in Rezeptur- und Reagenzienbüchern stimmten die absoluten Größenordnungen lokal und regional nicht überein. Besonders bei den aufkommenden überseeischen Produkten, im Münsterland meist über Holland bezogen, konnte es zusätzlich durch Umbenennungen und unterschiedlicher oder gegensätzlicher Lateinisierung von nicht festgelegten Produktnamen zu krassen Medikamentisierungsfehlern kommen. In der Alchemie zu der Zeit besonders gefährlich die Blei- und Quecksilberverwendung.
  • Hebammen wurden vereidigt und unterlagen später der Aufsicht der Amtsärzte, sie konnten ihnen bekannte Arzneimittel bei Krämpfen, zur Auslösung von Wehen und weiteren Frauenleiden einsetzen, auch ihre über Generationen erprobten Hausmittel. Da, wo in größeren Städten Ärzte und Apotheken waren, war ihnen die Arneimittelverschreibung verboten, was auf dem Lande niemanden bekümmerte. Bei ihnen wollte man das bestehende Abtreibungsverbot durchsetzen. Komplizierte Geburten reklamierten die Ärzte als Geburtshelfer für sich, wenn sie denn überhaupt auf dem platten Lande erreichbar waren. [1]

Land-Operateur im Fürstbistum Paderborn und Fürstbistum Münster

  • Am 13.08.1721 erteilt Clemens August von Bayern, Bischof von Paderborn, dem Joh. Thomas Feldhoff das Privileg als Paderborner Land-Operateur.
  • Am 06.02.1722 ernennt Clemens August, Bischof zu Münster und Paderborn auch für das Fürstbistum Münster einen Land -Operateur, der ohne Beeinträchtigung der Landärzte seine Wissenschaft jeweils halbjährig im münsterschen und paderbornschen Landen ausüben soll.

Bedeutung

  • Um 1720 war ein Landoperateur ein Landwundarzt, welcher zumindest in den Städten als app. Amtsperson in einem Land des HRR, Wundärzte und Bader betreuen (überwachen) sollte, welche gesundheitliche Schäden durch Schneiden, oder mit Anwendung verschiedener chirurgischer Instrumente, heilen. Für die "innere Medizin" besaßen sie damals noch keine Zulassung.

Literatur

Fußnoten

  1. 1,0 1,1 Quelle: Stratmann, Bodo: Westmünsterländisches Rezeptkopierbuch (2014)